Sicherlich kann man den Dachstuhl nicht vor dem Fundament errichten – aber vielleicht schneller aufsetzen. Möglich wird dies durch eine agile Arbeitsweise namens Scrum, zu Deutsch „Gedränge“, ein Begriff aus dem Rugby. Erfunden wurde Scrum, um komplexe Software-Projekte schneller voranzubringen. Im Immobilienbereich bieten sich zunächst digitale Anwendungen an wie z. B. die Gebäude-Digitalisierung, eine Mieter-App oder ein ERP („Enterprise Resource Planning“)1 für Ihr Unternehmen. Doch auch für eine effizientere Realisierung von Bauprojekten kann Scrum eingesetzt werden. In der Reihe Zukunft: Governance unserer Newsroom-Beiträge richten wir diesmal den Fokus auf den Nutzen dieser Methode fürs Bauen und die Immobilienentwicklung.
Überschaubare Lösungswege für komplexe Aufgaben
Scrum entstand aus der Erfahrung heraus, dass viele Entwicklungsprojekte heute zu komplex sind, um in herkömmlicher Weise von A bis Z durchgeplant zu werden. Neue Anforderungen und Lösungen während der Laufzeit bringen die klassische Projektplanung leicht aus dem Tritt. Scrum setzt dagegen auf schnell erreichbare Zwischenergebnisse, häufige empirische Abgleiche und eine schrittweise, organische Entwicklung. Wesentliche Elemente von Scrum sind
- das Product Backlog – der Gesamtplan, der ständig verbessert und an neue Faktoren angepasst wird;
- das Sprint Backlog – Detailpläne für überschaubare und schnell realisierbare Zwischenschritte (sogenannte „Sprints“).
Eine neue Organisation von Arbeit
Zur Realisierung von Scrum-basierten Projekten gehören „Rollen“ mit bestimmten Funktionen – als wichtigste das Team. Hier arbeiten in der Regel Spezialist:innen aus verschiedenen Fachbereichen selbstorganisiert zusammen. Optimale Produktivität erreicht ein Team durch vier Grundsätze:
- Das Projektziel muss klar sein, damit jedes Teammitglied weiß, wofür es sich engagiert.
- Das Team entscheidet selbst, wie es die gesetzten Ziele erreichen will.
- Das Team sollte alle beteiligten Disziplinen vereinen und sich regelmäßig über die einzelnen fachlichen Aspekte austauschen.
- Das Team darf nicht zu groß sein; fünf bis neun Mitglieder gelten als optimal.
Zwei weitere Rollen sind der Product Owner und der Scrum Master. Der Product Owner setzt die Ziele eines Projekts, ist für seinen wirtschaftlichen Erfolg verantwortlich und vertritt es nach außen, im Unternehmen und gegenüber den Kunden. Der Scrum Master ist nicht in die inhaltliche Arbeit eingebunden. Vielmehr achtet er auf Einhaltung der Scrum-Regeln, organisiert und moderiert den Projektablauf und räumt Hindernisse aus dem Weg, die das Team in seiner Arbeit behindern.
Die Ziele bleiben, nur der Weg wird kürzer
Scrum bedeutet ein an Zwischenschritten orientiertes Arbeiten. Als greifbarer Vorteil werden Stakeholder wie z. B. Auftraggeber regelmäßig einbezogen. So bildet sich ein größeres Verständnis für den Bauverlauf und auch für entstehende Verzögerungen oder Mehrkosten.
Ein weiterer wesentlicher Gewinn durch Scrum entsteht durch die hohe Effizienz der engen, interdisziplinären Zusammenarbeit im Team. Der Informationsaustausch muss nicht durch den „Flaschenhals“ eines übergeordneten Projektmanagements. Das Team übernimmt Verantwortung und Entscheidungsbefugnisse, wozu in der Regel auch die gesteigerte Eigenmotivation beiträgt. So werden durch ein Scrum-Team viele Faktoren gut verarbeitet, bei denen die traditionelle Planung oft steckenbleibt, wie z. B.
- Veränderungen durch Gesetze und Vorschriften, die oft lange Zeit in der Schwebe bleiben und deren genaue Regelungen zunächst unbekannt sind,
- neue Trends und Verfahren wie z. B. zur Energieerzeugung bzw. ‑einsparung oder der 3D-Druck, deren Erfolg und Nutzen zunächst unklar ist,
- das praktische Zusammenspiel von Software, Produktionstechnologie und der Erfahrung der Fachleute vor Ort auf der Baustelle,
- in Bauprojekten mit Subunternehmern: Hier beschleunigt Scrum die Durchlaufzeiten, verbessert die Zusammenarbeit der Gewerke, reduziert Verschwendung und steigert somit den Gewinn und die Zufriedenheit der Auftraggeber.
Auch mit Scrum wird also das Fundament vor dem Dachstuhl erstellt. Doch insbesondere Planung, Genehmigungen und die Koordination von Gewerken werden vereinfacht. So sitzt dann am Ende das Dach dank Scrum doch schneller auf dem Gebäude, als man es bisher gewohnt war.
1 ein Softwaresystem zur Unternehmensführung, das alle Prozesse in Services, HR, Einkauf, Finanzen etc. integriert
(Bildquelle: istockphotos)