Klar führen in bewegten Zeiten: Orientierung schaffen von Tag eins an
Die „ersten 100 Tage“ in einer neuen Position gelten allgemein als Zeit der Orientierung – und das aus gutem Grund. Als Führungskraft sind Sie in besonderem Maße darauf angewiesen, die Menschen, Themen und Prozesse zu kennen, für die Sie nun verantwortlich sind. Doch findet die Stabübernahme nicht immer in windstillen Zeiten statt. Kürzlich hatten wir in einem LeadershipImpulse beschrieben, wie sich ruhige Zeiten als Basis zukünftiger Erfolge nutzen lassen. Diesmal nun beleuchten wir ein gänzlich anderes Szenario: Wie können Sie als neue Führungskraft einer akuten Krise überzeugend begegnen und gleichzeitig die nötige allgemeine Orientierung gewinnen?
Führung durch Haltung
Die Bau- und Immobilienbranche steht heute vor komplexen Herausforderungen. Hohe Zinsen, Fachkräftemangel, Lieferengpässe und eine allgemeine Unsicherheit prägen die Situation vieler Unternehmen. Wer in dieser Lage Verantwortung übernimmt, muss oft rasch handeln, ohne die Vertrauensbildung und eine langfristige Perspektive aus den Augen zu verlieren.
Ein guter Rat dazu kommt aus dem Mannschaftssport, wo ein neuer Trainer häufig mitten in der Krise einsteigen muss. In „Teams erfolgreich führen“ zeigt Mounir Zitouni1, wie wichtig und wirksam eine zuversichtliche, zugewandte und zukunftsorientierte Haltung ist: Zeigen Sie selbst Vertrauen, Offenheit, Disziplin und Motivation, so werden Kolleg:innen und Mitarbeitende Ihnen dies auch verstärkt entgegenbringen.
So bleiben Sie auf Kurs
Eine überzeugende Haltung drückt sich vor allem in klarem Handeln aus. Dabei helfen Ihnen einige Leitlinien, Krisenmanagement und Eingewöhnung zu verbinden:
- Priorisieren und handeln
- Nutzen Sie leicht erreichbare Zwischenschritte, um Zuversicht zu verbreiten. Stellen Sie dazu eine Prioritätenliste auf, die sich zunächst auf Quick-Wins konzentriert.
- Versuchen Sie nach Möglichkeit, neben Ihren Mitarbeitenden auch andere Stakeholder einzubinden wie Kunden, Geschäftspartner oder weitere Abteilungen im Unternehmen.
- Sie müssen nicht alles neu machen. Manche Idee existiert vielleicht bereits und lässt sich direkt oder in leicht angepasster Form umsetzen.
- Orientierung geben
- Kommunizieren Sie offen, empathisch und mit aufmerksamem Zuhören.
- Profitieren Sie von Ihrem Status als der oder die Neue: Scheuen Sie keine unangenehmen Wahrheiten, aber bleiben Sie konstruktiv. Betonen Sie stets die gemeinsamen Ziele.
- Vertrauen aufbauen
- Geben Sie sich verlässlich und wirken Sie durch Ihr Handeln.
- Nehmen Sie Sorgen Ihrer Mitarbeitenden ernst und dämpfen Sie übertriebene Erwartungen.
- Identifizieren Sie Widerstände, aber tragen Sie Auseinandersetzungen vorerst nur dann aus, wenn dies zur Lösung der Situation beiträgt.
- Weitblick erhalten
- Zeigen Sie, dass Sie über den Tag hinausdenken. Verbinden Sie die kurzfristigen Lösungen mit langfristigen Perspektiven.
- Sprechen Sie darüber, wohin es für Sie nach der Krise geht: Ein positives Ziel lässt auch unangenehme Maßnahmen leichter erläutern und umsetzen.
- Eigene Grenzen erkennen
- Nutzen Sie den Schwung als neue Kraft, doch bleiben Sie achtsam gegen sich selbst. Erwarten Sie nicht, dass Ihnen inmitten einer Krise alles immer perfekt gelingt.
- Nehmen Sie sich auch unter Zeitdruck ab und zu einen Moment, um innezuhalten und Ihr Handeln sowie die Gesamtsituation zu überdenken.
- Scheuen Sie sich nicht, Ihre Grenzen zu benennen und notfalls Unterstützung zu suchen, z. B. durch einen Coach oder eine qualifizierte Assistenzkraft.
100-Tage-Roadmap aus der Krise
Nicht jede Krise wird sich in 100 Tagen lösen lassen. Dennoch kann ein Einstieg unter solchen Bedingungen auch eine Chance sein. Durch entschlossenes Handeln und eine klare Zukunftsperspektive legen Sie den Grundstein für nachhaltiges Vertrauen und Anerkennung.
Die ersten Tage: Orientierung schaffen
Im ersten Schritt gilt es vor allem, die Lage einzuschätzen und nach Möglichkeit zu stabilisieren. Dies bietet Ihnen Gelegenheit, nicht nur Haltung zu zeigen, sondern auch Ihre Handlungsfähigkeit zu beweisen:
- Verschaffen Sie sich einen Überblick über die aktuelle Lage, die Ursachen, Ihre Handlungsmöglichkeiten und setzen Sie Prioritäten für erste Lösungsansätze.
- Kurze, informative Gespräche mit Mitarbeitenden sind jetzt oft hilfreicher als ein ausgedehntes Studium von Aktenlage und Analysen. Nutzen Sie diese Gespräche auch zum Kennenlernen; ein paar Minuten für Persönliches sollten auch unter Zeitdruck möglich sein.
- Identifizieren Sie Schlüsselpersonen und bilden Sie Ihr Krisenteam.
- Treffen Sie Entscheidungen über Sofortmaßnahmen, die schnell erste Erfolge sichtbar machen.
Phase 2: Vertrauen gewinnen
Ab Ihrer 4. oder 5. Woche können Sie versuchen, aus dem reinen Krisenmodus in geordneteres Handeln überzugehen. Selbst wenn die äußeren Umstände ungünstig bleiben, können Sie nun das Vertrauen in Ihre Fähigkeiten stärken und bereits damit für eine Stabilisierung sorgen:
- Sprechen Sie darüber, wie Sie sich die zukünftige Zusammenarbeit mit allen Beteiligten vorstellen – auch für die Zeit nach der Krise. Ein guter Moment dazu ist ihr „offizieller“ Einstand, für den nun Zeit sein sollte.
- Klären Sie Verantwortlichkeiten und Teamstrukturen in Ihrem Bereich.
- Gewinnen Sie Vertrauen durch regelmäßige Status-Updates und einen offenen Dialog mit Ihren Mitarbeitenden.
- Überprüfen Sie die Wirkung der Sofortmaßnahmen aus Phase eins. Veranlassen Sie gegebenenfalls Korrekturen oder Erweiterungen.
Phase 3: Perspektiven entwickeln
Nach zwei Monaten etwa sollten Sie die Lage so weit einschätzen können, um längerfristige Zukunftsperspektiven zu entwickeln und so auch die Motivation Ihres Teams zu stärken:
- Zeigen Sie auf, wie sich die aktuelle Situation als Ausgangspunkt, vielleicht sogar als Chance für neue, nachhaltige Ziele, Projekte oder Strukturen nutzen lässt.
- Verweisen Sie auf erste, selbst kleine Fortschritte, aber sprechen Sie auch offen über Rückschläge und die konstruktiven Erkenntnisse, die Sie daraus ableiten.
- Festigen Sie Ihr Ansehen als vorausblickende, gestaltende Führungskraft, die mehr ist als ein Krisenmanager.
Fazit
Wer in Krisenzeiten eine Position als Führungskraft übernimmt, wird wenig Zeit für eine systematische Orientierung und Einarbeitung finden; auf seinen oder ihren Schultern lastet neben allen konkreten Aufgaben die Hoffnung auf rasche Besserung der Lage. Gleichzeitig bietet sich aber auch Gestaltungsspielraum für unbürokratisches Handeln und neue Ideen.
Betrachten Sie Ihre Reaktionen auf die akute Lage immer auch als Chance zur Profilbildung: durch entschlossenes Handeln, wertschätzende Kommunikation und strategischen Weitblick. Wenn Ihnen diese Verbindung gelingt, können sich die schwierigen Startbedingungen sogar als Glücksfall für Ihre zukünftige Arbeit erweisen.
Quellen
1) Mounir Zitouni, „Teams erfolgreich führen – Die besten Strategien von Klopp, Rangnick und Co. für dein Leadership“, Metropolitain Verlag 2024. Der Autor war Fußballprofi, danach Redakteur beim kicker und arbeitet heute als selbstständiger Business-Coach.
(Bildquelle: istockphotos.com)