Wie sichern wir Führung und Wissen in einer Branche, die älter wird als ihre Gebäude? Und wie kann zukünftig weiterhin Führung gelingen, wenn die erfahrensten Köpfe bald fehlen?
In der Immobilienwirtschaft treffen Transformation und demografischer Wandel unmittelbar aufeinander. In unserem heutigen “LeadershipImpulse“- Beitrag richten wir den Blick bewusst auf eine oft übersehene Dimension von Zukunftsfähigkeit: den bewussten Umgang mit Erfahrung, Wissen und Nachfolge – als Kern nachhaltiger Führung. Dieser Beitrag steht in inhaltlicher Verbindung mit den bisherigen LeadershipImpulse-Artikeln „Nachhaltigkeit führen“ und „Leiten im Erfolg“.
Immer häufiger begegnen wir in unserer täglichen Arbeit im Executive Search Unternehmen, die spüren, dass sich die Führungslandschaft merklich verändert. Erfahrene Persönlichkeiten prägen die Immobilienwirtschaft seit Jahrzehnten – doch viele von ihnen stehen kurz vor dem Ruhestand.
Was bleibt, wenn diese Führungsgeneration geht? Und was entsteht, wenn Nachfolge nicht frühzeitig vorbereitet wird?
Der demografische Wandel trifft die Branche mit besonderer Wucht. Die Alterspyramide ist steil, die Pipeline an Führungstalenten dagegen flach. Während der Markt unter Transformationsdruck steht – Digitalisierung, ESG-Integration, neue Geschäftsmodelle – droht ein Verlust an Erfahrung, Wissen und Kontinuität: der „Retirement Cliff“.
Eine Branche am Wendepunkt
Internationale Studien zeichnen ein klares Bild. Laut Deloitte1 (2024) werden in den kommenden zehn Jahren rund 40 Prozent der Beschäftigten in der Real-Estate-Branche das Rentenalter erreichen – darunter nahezu 60 Prozent der heutigen Führungskräfte. Eine Untersuchung von RETS Associates2 (2025) spricht vom „Peak 65“ – jenem Jahr, in dem die Mehrheit der C‑Suite-Leaders gleichzeitig altersbedingt ausscheidet.
Auch in Deutschland ist die Dynamik deutlich spürbar. Das VDIV-Branchenbarometer3 (2024) nennt den Fachkräftemangel als zentrales Risiko der Immobilienverwaltung. Die ZIA/EY-Digitalisierungsstudie4 2025 bestätigt: Fehlende Fachkräfte sind das größte Hemmnis für Modernisierung und digitale Transformation.
Damit entsteht eine doppelte Herausforderung: Unternehmen müssen ihre strategische Nachfolgeplanung angehen – und zugleich neue Führungsgenerationen befähigen, Verantwortung zu übernehmen.
In der Schifffahrt ist die Wachablösung präzise geregelt: Die neue Mannschaft übernimmt erst, wenn sie den Kurs kennt. Auch im Management entscheidet die Qualität der Übergabe über den Erfolg der nächsten Reise. Wer Nachfolge plant, steuert – wer sie aufschiebt, treibt. Wenn die erfahrensten Kapitäne von Bord gehen, braucht die Flotte neue Orientierungspunkte. Der Retirement Cliff ist kein Sturm, sondern ein Kurswechsel – vorausgesetzt, wir navigieren ihn bewusst.
Handlungsempfehlungen für die Praxis
Die aktuellen Studien zeigen: Wer jetzt handelt, kann den Retirement Cliff aktiv gestalten. Entscheidend sind sieben Handlungsfelder:
- Nachfolge als Daueraufgabe verankern – Succession Planning darf kein punktuelles Projekt sein. Erfolgreiche Unternehmen betrachten es als kontinuierlichen Bestandteil der Governance – regelmäßig überprüft, angepasst und mit klaren Verantwortlichkeiten versehen. (RETS 2025)
- Rollen neu denken – statt Positionen zu kopieren. Der Führungswechsel ist eine Gelegenheit, Strukturen zu modernisieren: Rollen lassen sich neu zuschneiden, Kompetenzen bündeln oder erweitern – etwa in Richtung ESG, Digitalisierung oder Stakeholder-Kommunikation. (RETS 2025, EY 2024)
- Wissenstransfer institutionalisieren. Mentoring, Reverse Mentoring und strukturierte Übergabeprozesse sichern Erfahrung systematisch. Führung wird dadurch zur Gemeinschaftsleistung über Generationen hinweg. (Deloitte 2024)
- Kompetenzorientiertes Talentmanagement etablieren. Zukunftsfähige Organisationen entwickeln Führungspotenzial auf Basis von Skills, nicht Titeln. Transparente Entwicklungsprogramme und klare Kompetenzprofile schließen die Lücke zwischen Anspruch und Nachfolge. (Deloitte 2024)
- Kultur und Kontinuität sichern. Nachfolge ist mehr als ein Personalwechsel – sie ist Kulturarbeit. Der Stil, die Werte und die Glaubwürdigkeit der Führung müssen anschlussfähig bleiben, um Akzeptanz und Stabilität zu gewährleisten. (RETS 2025)
- Übergänge gezielt gestalten. Überlappungsphasen zwischen alter und neuer Führung sichern Wissenstransfer, ohne die Erneuerung zu bremsen. Wichtig ist eine klar definierte Dauer und Rollenverteilung. (RETS 2025)
- Governance-Gremien aktiv einbinden. Aufsichtsräte und Beiräte sollten Nachfolgeprozesse als strategisches Thema verstehen – nicht als administrative Aufgabe. Governance entscheidet, ob Übergänge gelingen oder verharren. (ZIA/EY 2025)
Führung in der Immobilienwirtschaft steht damit an einem Wendepunkt: zwischen Erfahrung und Erneuerung, zwischen Stabilität und Aufbruch. Die Aufgabe besteht nicht darin, das Alte zu ersetzen – sondern es klug in die Zukunft zu überführen. Wer Nachfolge strategisch denkt, Wissen sichert und Verantwortung teilt, schafft den Brückenschlag zwischen Generationen.
Fazit: Führung als Zukunftsaufgabe
Der Retirement Cliff ist kein Schicksal, sondern ein Steuerungsimpuls. Er markiert den Moment, in dem Unternehmen entscheiden, ob Wissen verloren geht – oder zu neuem Kapital wird.
Wer Nachfolge strategisch denkt, Führung entwickelt und Übergänge bewusst gestaltet, schafft nicht nur Kontinuität, sondern Zukunftsfähigkeit. Governance bedeutet in diesem Kontext: Erfahrung bewahren, Erneuerung ermöglichen und Verantwortung weitergeben – mit Haltung, Struktur und Weitblick.
Quellen
(Image source: dreamstime)