Private Krisen in der Chefetage wirken wie Haarrisse im Tragwerk: unsichtbar, aber folgenreich. Vier Hebel, mit denen Unternehmen strukturell vorsorgen.
Private Krisen von Führungskräften zählen zu den leisen, aber folgenreichen Risiken moderner Organisationen. Während operative oder Marktkrisen meist klar adressiert werden, bleiben persönliche Belastungen – Scheidung, Krankheit, familiäre Verpflichtungen oder Verlust – oft unbeachtet. Was geschieht, wenn die Stabilität jener ins Wanken gerät, die anderen Halt geben sollen? Und wer fängt die Führungskraft auf, wenn sie selbst Halt geben muss?
Aktuelle Daten: 49 % der deutschen Führungskräfte nennen eigene Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit als größte Herausforderung, 61,6 % berichten über Erschöpfung (New Work SE, 2025). International stieg der Druck: 71 % sehen höheres Stressniveau seit Rollenbeginn; 40 % der stark Belasteten denken über Rücktritt nach (DDI, 2025). Das signalisiert Risiken in Führungspipelines.
Was sagt das über unsere Unternehmenskulturen aus?
Klar ist: Mentale Stabilität wirkt direkt auf Kultur, Leistungsfähigkeit und Bindung. Persönliche Belastungen führen zu kognitiver Überforderung, emotionaler Distanz und Entscheidungsschwäche – mit Folgen für Vertrauen, Teamdynamik und psychologische Sicherheit.
Um diese Fragen und Wege des Umgangs mit privaten Krisen auf höchster Ebene geht es in der heutigen fünften Folge unserer “LeadershipImpulse”-Reihe im Valdivia Newsroom. Lassen Sie uns dieses Thema bewusst annehmen.
Wenn Privates die Führungsfähigkeit prägt
Private Krisen wirken auf mehreren Ebenen. Emotionale Belastungen verengen den Blick, fördern Impulsivität und erschweren differenzierte Entscheidungen. Führung ist Resonanz – angespannte Führung überträgt Unsicherheit unbewusst auf das Umfeld. In der Praxis zeigt sich das als Rückzug, Kontroll-Aktionismus oder Kommunikationsungenauigkeit – Effekte, die Vertrauen und psychologische Sicherheit schwächen.
Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) betont den belegten Zusammenhang zwischen Führungsverhalten, Selbstführung und psychischer Gesundheit: Gesundes Führungsverhalten stärkt Ressourcen und Stabilität; fehlende Selbstführung schwächt sie – mit langfristigen Folgen für Leistung und Bindung.
Der stille Einbruch der Leistungsfähigkeit
In Deutschland zeigen aktuelle Befragungen eine Zunahme psychischer Belastungen auf Führungsebene:
- Laut New Work SE (2025) sehen 49 % mentale Stabilität/Leistungsfähigkeit als größte Herausforderung; 61,6 % berichten Erschöpfung, u. a. durch Rollenvielfalt und Dauerstress.
- Die Bertelsmann Stiftung (2023) zeigt: Höhere Resilienzwerte korrelieren mit geringerer emotionaler Erschöpfung und höherer Leistungsfähigkeit (RFI®).
- Die BAuA-Studie (2024) belegt: Fehlende Selbstführung und mangelnde soziale Unterstützung erhöhen das Risiko psychischer Erkrankungen und Leistungseinbrüche um bis zu 45 %.
Auch international zeigt sich:
- 79 % der Betroffenen in Großbritannien berichten eingeschränkte Arbeitsfähigkeit; 60 % nennen Angst, Depression oder Stress (Rayden Solicitors, 2021).
- 23 % brauchten Krankschreibung oder unbezahlten Urlaub, 39 % erlebten Produktivitätsrückgänge, 15 % machten mehr Fehler/Unfälle (Rayden, 2021).
- Fast jede zehnte Führungskraft verließ binnen eines Jahres nach der Scheidung ihr Unternehmen; Beschäftigte in KMU wechselten viermal so häufig wie in Großunternehmen (Rayden, 2021).
- In den ersten sechs Monaten nach einer Scheidung sinkt die Produktivität im Schnitt um 40 %, im Folgejahr um weitere 20 % (marriageteam.org, 2024).
- 44 % in einer US-Studie berichten messbare Beeinträchtigungen von Arbeit/Karriere/Engagement durch Scheidung/Trennung (University of Minnesota, 2024).
Fazit dieser Befunde: Private Krisen sind kein individuelles Schicksal, sondern ein Unternehmensrisiko. Wo Unterstützung, Gesprächsangebote und Prävention fehlen, geraten ganze Systeme aus der Balance.
Was Unternehmen tun können
Organisationen reagieren mit Programmen, die niedrigschwellig, entstigmatisierend und führungsnah ansetzen: Employee Assistance Programs (EAP), Resilienztrainings, Coaching in Krisen, flexible Arbeitsmodelle und eine offene Kultur. Diese Angebote schützen die mentale Gesundheit der Führungskraft und sichern Teamstabilität.
- Employee Assistance Programs (EAP). Vertrauliche Beratung, Lotsenfunktionen und schnelle Vermittlung senken Ausfallzeiten und erhöhen Rückkehrfähigkeit. Typische Lebenskrisen (Trennung, Pflege, Finanzielles) werden adressiert; kompatibel mit BGM-Strukturen.
- Resilienztrainings. Fokus auf Achtsamkeit, Emotions-/Impulskontrolle, realistischen Optimismus, Selbstwirksamkeit, Zielorientierung – Faktoren, die mit weniger Erschöpfung, weniger Zynismus und höherer Leistungsfähigkeit korrelieren (RFI®/Bertelsmann-Studie).
- Coaching & Krisen-Sparring. Geschützte Reflexionsräume stabilisieren Entscheidungsqualität; regelmäßige Puls-Checks und Stärkenorientierung fördern Bindung und Sicherheit.
- Strukturelle Entlastung & Kultur. Temporäre Flexibilisierung, klare Eskalationspfade, Peer-Support und transparente Kommunikation („Fehler-Korrekturräume”) reduzieren Kontroll-Aktionismus. Das BAuA/S‑MGA unterstreicht den Langzeitzusammenhang von Arbeitsbedingungen, mentaler Gesundheit und Funktionsfähigkeit – ein starkes Argument für präventive, kulturbasierte Lösungen.
Ein vertiefender Blick auf die mentale Gesundheit aller Mitarbeitenden findet sich in unserem Expertentipp-Beitrag . Er zeigt, wie psychologische Sicherheit und Prävention zur Basis gesunder Führung werden.
Resilienz messbar machen: Das Executive FiRE-Modell
Das Executive FiRE-Modell (Factor of individual Resilience and Effectiveness) erfasst Resilienz bei Führungskräften systematisch und praxisnah. Es fasst Ergebnisse in einem 28-seitigen Report zusammen – inklusive Handlungsempfehlungen. Vier Kern-Dimensionen, die sich entwickeln lassen:
- Focus (Klarheit und Priorisierung)
- Integration (Wert- und Selbstkongruenz)
- Regeneration (aktives Energie-Management)
- Effectiveness (Entscheidungsstärke unter Druck)
So kombiniert der Index Persönlichkeitsdiagnostik mit verhaltensbezogenen Faktoren und zeigt, wie Führung Stabilität und Wirksamkeit in herausfordernden Phasen bewahren kann.
Eine andere Systematik nutzt die Bertelsmann-Studie: den RFI® (Shatté) mit sieben Faktoren (Emotionssteuerung, Impulskontrolle, Kausalanalyse, realistischer Optimismus, Empathie, Selbstwirksamkeit, Zielorientierung). Höhere Resilienzquotienten korrelieren negativ mit Erschöpfung/Zynismus und positiv mit Leistungsfähigkeit – Resilienz ist trainierbar und wirkt protektiv gegen Burn-out-Symptome.
Konkrete Handlungsfelder für Boards und Geschäftsleitungen
- „First-Aid-Playbook” für Lebenskrisen: Ein definiertes Vorgehen für Führungskräfte, HR und Betriebsräte schafft Orientierung bei persönlichen Krisen: Rollenklärung, Kommunikationsrichtlinien, Eskalationswege und schneller Zugang zu externer Unterstützung (z. B. EAP). Ziel: Innerhalb von 72 Stunden nach Bekanntwerden sollte eine erste professionelle Anlaufstelle aktiv sein – strukturiert, vertraulich, unbürokratisch.
- Resilienz-Screening für das Top-Management: Ein standardisiertes Screening (z. B. Executive FiRE-Index) ermöglicht objektive Einschätzung der individuellen und organisationalen Widerstandskraft; darauf basierend lassen sich Programme gestalten – inkl. Re-Messung nach sechs Monaten. Ziel: Sichtbare Fortschritte statt Symbolik – mentale Stärke als gelebte Führungsrealität.
- Bindung als Führungs-KPI: Emotionale Bindung ist messbar und sollte Teil von Zielvereinbarungen sein. Kennzahlen wie Fehlzeiten, Fluktuationsraten, Unfallhäufigkeit und Produktivität bilden Wirkungen von Führung auf Kultur und Gesundheit ab. Ziel: Führung an Wirksamkeit messen – wer Vertrauen schafft, stärkt Leistung und Loyalität.
- Tabus abbauen: Trennung, Familie, Überlastung: Häufige Belastungstreiber offen adressieren: Klare HR-Richtlinien, Manager-Briefings, flexible Zeitfenster. Ziel: Private Belastungen enttabuisieren – und so Kündigungs- und Leistungsrisiken vorbeugen, die aktuell fast jede zehnte Führungskraft nach einer Trennung betreffen.
Diese Hebel zeigen: Mentale belastbarkeit und Stärke sind keine Soft-Skill-Disziplin, sondern Führungsverantwortung. Wer diese sichtbar, messbar und ansprechbar macht, schützt die gesamte Organisation.
Fazit: Stärke zeigen heißt, Kurs halten
Private Krisen gehören zum Leben – auch auf Führungsebene. Entscheidend ist der Umgang. Mentale Stärke ist kein Add-on, sondern Fundament für Stabilität, Kultur und Leistungsfähigkeit. Systeme wie das Executive FiRE-Modell bieten eine fundierte Basis, sie mess- und entwickelbar zu machen.
Jenseits jeder Diagnostik gilt:
Wer Führung als Tragwerk denkt, schafft vorausschauende Statik: Risse früh identifizieren, Lasten realistisch bemessen, Bewehrung gezielt verstärken.
So bleibt das Gebäude stabil—auch wenn der Sturm privat beginnt.
Quellen (Auswahl)
- New Work SE (2025): So gefährden persönliche Krisen den Unternehmenserfolg
- Bertelsmann Stiftung (2023): Führung, Gesundheit und Resilienz (RFI®)
- BAuA (2024): Mentale Gesundheit bei der Arbeit (S‑MGA)
- DGUV: Broschure Führung und psychische Gesundheit
- DDI (2025): Global Leadership Forecast 2025
- Rayden Solicitors (2021): Divorce in the Workplace UK Study
- hellodivorce.com (2024)
- marriageteam.org (2024)
- University of Minnesota (2024): Personnel Psychology – Effects of Divorce at Work
- Harvard Business Impact (2025): Global Leadership Development Study
(Bildquelle: istockphotos.com)